William Garner Sutherland (1873 – 1954)
Der Begründer der Craniosacralen Therapie

Markus Büsser, Ursula Schmalstieg; 2007

Ein junger Zeitungsmann, der sich selber während seiner späten Jahre in Kirksville in ernste Schwierig­keiten brachte…

– W. G. Sutherland über sich –

William Garner Sutherland wurde 1873 in Portage County, Wisconsin, als zweites von vier Kindern geboren. Schon kurz nach seiner Geburt zog die Familie nach Troy, einer kleinen Niederlassung in Minnesota. Sein Vater war Farmer und Schmied und W. G. Sutherland verbrachte eine recht unbekümmerte Kindheit auf der Farm. Als die Sutherlands aber nach Blunt, South Dakota, zogen endete die Kindheit abrupt und W. G. Sutherland nahm eine Arbeit in einer Zeitungsdruckerei an, um so die Familie zu unterstützen. Als die Druckerei nach Aberdeen umzog, ging auch der erst 14-jährige W. G. Sutherland mit.
Die folgenden 10 Jahre arbeitete er in verschiedenen Druckereien und besuchte zwischenzeitlich auch ein College, das er aber ohne Abschluss wieder verliess. 1897, W. G. Sutherland war inzwischen Journalist bei der Austin Daily Herald, hörte er das erste Mal von der Osteopathie und war so fasziniert von ihr, dass er sich im folgenden Jahr an A. T. Stills American School of Osteopathy in Kirksville einschrieb.
W. G. Sutherlands Klasse zählte 162 Studenten und auch wenn Sutherland Still kennenlernte, so hatte er nie persönlichen Kontakt mit ihm. Dafür lernte er sicher J. M. Littlejohn kennen, denn dieser war ebenfalls in seinem Jahrgang Schüler, war aber gleichzeitig auch noch der Lehrer für Physiologie. Alles in allem verlief Sutherlands Studium in Kirksville eher unspektakulär, allerdings gab es dort ein kleines Erlebnis, auf das sich auch das Zitat am Anfang des Kapitels bezieht und das als Anfang der Craniosacralen Osteopathie angesehen werden kann:
An einem Morgen betrachtete W. G. Sutherland im Schaukasten der Schule die Knochen aus Stills Sammlung. Sein besonderes Interesse zog ein gesprengter Schädel auf sich und als er die Kontaktfläche des Os sphenoidale zum Os temporale betrachtete, kam ihm der Gedanke

…abgeschrägt wie die Kiemen eines Fisches, das ist ein Hinweis auf eine gelenkige Mobilität für einen respiratorischen Mechanismus.

Der Gedanke war für Sutherland faszinierend und verwirrend gleichzeitig, denn bis dahin galten die Schädelknochen allgemein als unbeweglich. Und deshalb versuchte Sutherland die Idee zunächst wieder zu verdrängen.1
Nach einem ausgezeichneten Abschluss arbeitete W. G. Sutherland als guter Osteopath, doch nach einigen Jahren konnte er die Möglichkeit der Atembewegung des Schädels nicht mehr ignorieren und er begann mit dem genauen Studium der Schädelknochen. In den ersten Jahren anhand der Knochen eines Verstorbenen, dessen Schädel er selber mit einem kleinen Taschenmesser in die einzelnen Teile zerlegte. Als er aber glaubte, den Mechanismus verstanden zu haben, begnügte er sich nicht mehr mit toten Knochen, und er begann, am eigenen Schädel zu experimentieren: Zunächst nur, indem er über einen mechanischen Helm probierte, die einzelnen Knochen anzuhalten, mit den Jahren weitete er aber die Versuche so aus, dass er seinen Kopf auch in pathologische Schädelformen zwang. Bei einem solchen Versuch machte er die Erfahrung, dass das Kreuzbein ebenfalls mit der Bewegung der Schädelkochen verbunden ist. Durch diese Experimente konnte er – zwar nicht wissenschaftlich, für sich selber aber im wahrsten Sinne des Wortes beeindruckend – folgendes nachweisen:

  1. Die Schädelknochen wie auch das Sacrum bewegen sich.
  2. Schädelknochen und Sacrum sollten sich synchron in einer wohl definierten Art bewegen.
  3. Wenn sie das nicht tun, kann dies, je nach Dysfunktion, zu sehr starken körperlichen oder geistigen Störungen führen.

Als sich W. G. Sutherland sicher genug fühlte, begann er seine Erkenntnisse auch an Patienten anzuwenden und war damit so erfolgreich, dass immer mehr Patienten kamen und nach cranialen Behandlungen fragten. So ermutigt, getraute er sich 1929 endlich an die «osteopathische Öffentlichkeit», erzielte aber praktisch keine Wirkung. Und auch in den folgenden Jahren stiessen seine Erkenntnisse vor allem auf Ablehnung. Erst 1939 nach der Veröffentlichung des kleinen Büchleins The Cranial Bowl änderte sich langsam das Interesse an Sutherlands Craniosacralen Studien und 1946 wurde die Osteopathic Cranial Association als Zweig der Academy of Applied Osteopathy gegründet. Da Sutherland selber und später auch seine Schüler ihre Erkenntnisse nur an Osteopathen weiter gaben, wurde die Craniosacrale Osteopathie bis in die 1970-er Jahre nur von relativ wenigen Therapeuten praktiziert. Dies änderte sich als der Osteopath John E. Upledger sich dazu entschloss, die Craniosacrale Osteopathie auch Nicht-Osteopathen zugänglich zu machen. J. E. Upledger vereinfachte und veränderte das Konzept von Sutherland zum Teil erheblich und nannte es Craniosacrale Therapie. Für seine Veränderungen wurde und wird Upledger zwar von osteopathischer Seite her heftig kritisiert, die Craniosacrale Therapie jedoch wurde durch diese Massnahmen viel mehr Interessierten zugänglich. Und dadurch wiederum wurde auch die Osteopathie und Sutherlands Konzept der Cranialen Osteopathie einer viel breiteren Öffentlichkeit bekannt.

  1. Das ist die offizielle Version nach der Biographie, die Adah D. Sutherland über ihren Mann nach dessen Tod schrieb. Es gibt allerdings verschiedene Hinweise darauf, dass die Beweglichkeit der Schädelknochen keine neue Idee war. So beschreibt der Wissenschaftler und Mystiker Swedenborg (1688 - 1772) schon Bewegungen des Hirns und der Hirnhäute; und zumindest Teil dieser Texte waren im Umfeld von A. T. Still bekannt. Und auch wenn die meisten Anatomen lehrten, dass der Schädel unbeweglich ist, so vertrat Giuseppe Sperino (1850-1926) in Italien das Gegenteil. Ob Sperinos Lehre auch in England und Amerika bekannt war, weiss man nicht. Fest steht aber, dass J. M. Littlejohn von Bewegungen in den Schädelknochen schrieb. Und Sutherland verdiente sich das Studiengeld u.a. mit dem Redigieren von Littlejohns Texten, weshalb es gut möglich ist, dass er mit der Idee der beweglichen Schädelknochen schon vertraut war. Dass er es vielleicht trotzdem nicht glauben wollte, ist gut möglich, und dies würde auch seine Verdienste für die Craniosacrale Osteopathie auf keine Weise schmälern.

 
 

Datenschutz / Impressum / Rechtliche Hinweise